An die Bücher
Wie lieb' ich euch, die ihr in schönen Bänden
Mein buntes Bücherschränkchen schmückt,
Bey denen mir so lieblich untern Händen
Die lange Zeit schnell weiter rückt!
Hier find' ich Lust bey Unterricht:
Ich läs' euch, wär' es auch nicht Pflicht.
Ihr lehret mich, was nöthig ist, zu wissen;
Durch euch wird fremde Weisheit mein;
Ihr leuchtet mir in meinen Finsternissen,
Und ladet mich zur Wahrheit ein;
Ihr tragt mich in die Zukunft hin,
Und zeigt mir, was, warum ich bin.
Bald führt ihr mich zurück in graue Zeiten:
Da flieg' ich über Land und Seen,
Seh' Reiche hier entspringen, sich verbreiten,
Blühn, sinken, wieder untergehn;
Seh' Menschen, die vom Anfang an
Sich gleich in Gut und Bösem sahn.
Bald führt ihr mich in die geheimsten Gründe
Der wunderthätigen Natur;
In Stäubchen, wie in Welt und Sonnen finde
Ich eines weisen Schöpfers Spur;
Vom Wurm, den ich kaum sehen kann,
Steig' ich zur Gottheit selbst hinan.
Und les' ich euch, ihr Dichter ew'ger Lieder,
Die ihr so schön die Tugend singt,
Und Adlern gleich mit heiligem Gefieder
Euch von der Erd' am Himmel schwingt;
So öffnet sich mein Herz und Ohr,
Und ihr hebt mich mit euch empor.
Ja, Bücher, ihr sollt meine Freunde bleiben,
Gesellschaft mir und Spielwerk seyn,
Die lange Zeit mir ohne Reu vertreiben,
Und mir Geschmack und Licht verleihn!
Wie dank' ich dem, der euern Werth,
Und euch zu brauchen, mich gelehrt!
(nach der Ausgabe von 1772 die C. F. Weisse als vollendetste und letzte bezeichnete)
Aus: C. F. Weisse, Kleine lyrische Gedichte, III.Theil, gedruckt bey F. A. Schrämbl, Wien, 1793, S. 146 ff.
Digitalisat 1, 2 & 3