Das liebende Mädchen
Jüngling, wenn ich dich von fern erblicke,
Wird vor Sehnsucht mir das Auge nass:
Nahst du dich, so hält es mich zurücke
Wie mit Fesseln – und ich weiss nicht, Was?
Fern von dir hab' ich so viel zu klagen,
Und dir gegenüber sitz' ich stumm,
Kann dir nicht ein Sterbens-Wörtchen sagen,
Stammle nur, - und weiss doch nicht, Warum?
Stundenlang häng' ich an deinem Blicke:
Aber wenn der deinige mich so
Ueberrascht, fährt meiner scheu zurücke,
Will sich bergen, - ach! und weiss nicht, Wo?
Seh' ich dich mit andern Mädchen spassen;
O, dann möcht' ich arme Schwärmerinn
Meine Vaterstadt, mein Land verlassen,
Möchte fliehn, - und weiss doch nicht, Wohin?
Einsam lass' ich, statt mich zu zerstreuen,
Meinen Thränen ungestörten Lauf,
Wiege mich in süssen Träumereyen,
Freue mich, - und weiss doch nicht, Worauf?
Denke mir das höchste Glück auf Erden,
Das ein Mädchen sich nur wünschen kann,
Hoffe, dass sie einmal kommen werden
Diese Freuden, - ach, und weiss nicht, Wann?
Denke von zwey gleich gestimmten Seelen
Mir die schönste, reinste Harmonie,
Möchte dich aus einer Welt erwählen,
Theurer Jüngling! – ach, und weiss nicht, Wie?
Gabriele von Baumberg - Das liebende Mädchen
aus: Sämtliche Gedichte Gabrielens von Baumberg, gedruckt bey Joh. Thom. Edl. v. Trattern, Wien, 1800, S. 32 f.
Digitalisate 1 & 2