![]() |
Caspar David Friedrich - Morgennebel im Gebirge |
Auf einem Felsen kahl und glatt
Ein junges Bäumchen stand,
Die Blätter frisch, die Rinde glatt,
So hing’s am steilen Rand.
»Wie kommst du auf den Kieselgrund,
Du kecker, kleiner Baum;
Ist doch im Kreise weit und rund
Ein grünes Kräutlein kaum?
»»Ich ahnte in dem dunklen Grund
Den Himmel über mir;««
Sprach das beherzte Bäumchen, »»und
Durchdrang den Felsen hier.
»»Anfänglich wollt’ es nicht recht fort,
Doch ließ ich nimmer nach;
Ich sprach: der Himmel ist ja dort!
Wenn mir’s an Kraft gebrach.
Und neu beseelt durchgrub ich drauf
Den harten schweren Stein;
Es zog zum Lichte mich hinauf,
In’s Leben mich hinein.
»»Ein Ziel verfolgen mit Geduld
Hab’ ich es durchgesetzt,
Daß ich dem Stein für schwere Schuld
Noch Schatten gebe jetzt.««
aus: H. Kletke, Deutschlands Dichterinnen, Hermann Holstein, Berlin, Dritte vermehrte Auflage, o. J., S. 359 f.