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Unter den Linden um 1700 |
Der Weidendamm.
Die Muse flieht zu dir, einsamer Cranz von Weiden!
Wo ihr dein West in kühle Schatten winkt.
Ihr Bäume! die ringsum der Spree Gestade kleiden,
Wo oft mein Herz die Ruh in Strömen trinkt.
Seid ihr mein Lied! — Fern vom geschäftigen Getümmel
Wohnt die Natur, die das Einsame liebt
In euch, und rund umher wölbt sich ein heitrer Himmel
Von keinem Rauch der stolzen Stadt getrübt.
Auf euren Wipfeln spielt mit ihren lezten Strahlen
Die Abendsonn' eh' sie ins Meer sich senkt:
Noch will sie dich, o Spree! mit flüß'gem Golde mahlen,
Eh' sie der neuen Welt ihr Antlitz schenkt.
Ein grüner Rasen, den Gesträuche wild umpfangen
Beut zum kunstlosen Ruhesitz sich dar:
Wo haaricht über ihm der Weiden Blüthen hangen:
In ihnen jauchzt der Vögel muntre Schaar.
An seinem Rükken schwillt auf grünenden Terrassen
Ein Garten sanft zum schönsten Tempe an:
Hier schwizt Vertumnus, ihn in Lauben einzufassen,
Und Bacchus pflanzet Traubenhügel dran.
Er ziert dein stilles Haus, worinn die Weisheit wohnet,
O Sulzer! den sie ihren Liebling nennt
Und ihm mit Freuden der Natur sein Forschen lohnet,
Die nur ihr Schüler schäzt und kennt.
Hier fliessen ruhig dir die Tage Deines Lebens
Dem Dienst der ernsten Göttin heilig, hin:
Wie Ströhme, schwer von Gold: denn keiner fließt vergebens
Und jeder bringt dir Wahrheit zum Gewinn.
So sei sie stets vor dich mit ihren besten Schäzzen
Freigebig, und bei Enkeln einst dein Ruhm!
Noch lange dein Geschäft, die Schöpfung dein Ergözzen
Und dieser Garten dir Elysium!
Aus: Die Spazier-Gaenge von Berlin (Drei unbekannte Gedichte der Anna Louise Karschin.), 1761Der Gesellschaft der Bibliophilen, zu ihrer Generalversammlung am 16. Oktober 1921 in Berlingewidmet von Oskar Rauthe, Verlagsbuchhändler und Antiquar, Berlin-Friedenau, Nr. 25 von 300 Exemplaren