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Arnold Böcklin - Mädchen und Jüngling beim Blumenpflücken |
Der Jüngling; eine Phantasie.
Leb’ und web’ ich in Vergnügen;
Grüße jeden jungen Tag,
Sehe jeden Zephyr fliegen;
Kränze mich im Veilchenthal,
Singe mit der Nachtigall.
Jugend, o wie halt’ ich dich?
Jugend , eile nicht von hinnen!
Möchtest du so wonniglich
Neu mit jedem Lenz beginnen!
Nähm’ ich dich ins späte Grab,
Holde Jugend, mit hinab!
Schöpferin der Lebenskraft,
Alles kömmt zu deinen Füllen!
Laß mir Lebens-Glut und Kraft
Ewig unerschöpflich quillen!
Frisch’ aus deinem Stralenquell
Meine Blicke adlerhell!
Ha! wie bläht sich diese Brust!
Ha! wie stürmt, wie lodert drinnen
Himmelsflamme, Dichterlust!
Wie mir’s tobt in allen Sinnen!
Genius, die Fackel her !
Länger halt’ ich mich nicht mehr.
Schwinge deine Fackel hoch!
Leuchte mir voran im Fluge! —
Glimmt das Fünkchen Erde noch
Aus der Tief’ her? Fleug dem Zuge
Jener Sonnen stracks vorbey!
Wähnst du, daß ich laß schon sey? —
Ungemeßne, tiefe Flut,
Feuermeer der Phantaseyen!
Neugetauft mit deiner Glut,
Will ich mich des Zaubers freuen,
Der in Haine mich entrückt,
Die kein sterblich Aug’ erblickt.
Lebensodem wehet hier,
Ueberall rauscht heilig Leben;
Blumen lispeln für und für,
Bäche murmeln, Lauben beben;
Jedes Gräschen fühlt den Lauf
Seines Bluts, und schauert auf.
In den regen Wipfeln träuft
Dichterwort von Vögelzungen;
Weisheit, die zur Freude reift,
Die einst Griechenland gesungen;
Deine Tone, Tejermann,
Stimmet hier ein Zeisig an.
Der Zeisig.
Wer genießen kann, genieße!
Lebt! das Leben ist ein Tag!
Daß er sich nicht fruchtlos schließe!
Ferne ziehen Wölkchen her —
Lebt! Bald ists nicht heiter mehr!
Der Jüngling.
Schöner Vogel, frey wie du,
Unterm Dach von Mayenblättern,
Fürcht’ ich mich in stolzer Ruh
Nicht vor Stürmen, nicht vor Wettern.
Trift ein rascher Stral mein Haus,
Spann’ ich meine Flügel aus.
Der Zeisig.
Doch, was sind die Freuden all,
Was ist Leben, Erdensöhne,
Wenn nicht Schwester Nachtigall
Eine zauberische Thräne,
Die nach mildern Trieben geizt,
Eurem heißen Aug’ entreizt?
Der Jüngling.
Philomele, Himmelskind!
Lehre diese Thräne quillen!
Lehre mich, was Freuden sind.
So die ganze Seele füllen!
Du beginnst? Was hör’ ich? schallt
Sappho’s Leyer in den Wald?
Die Nachtigall.
Leiser, linder Flügelschlag
Fächelt säuselnd überm Herzen,
Weckt ein Seufzerchen, ein Ach!
Losung ungeflohner Schmerzen.
Wie die kranke Lippe bebt!
Wie der volle Busen strebt!
Schwebe steigender empor,
Wehmuthschwangres Wölkchen! Dringe
Durch die Wang’ ins Aug’ hervor,
Wenn ich süße Leiden singe;
Wenn ich dann zu mächtig bin,
Schmilz’, ein Abendthau, dahin !
Schmilz! es harren Blümchen dein,
Die für Mädchenbusen blühen;
Trinken deine Labung ein,
Hellern Schmuckes einst zu glühen.
Die ein solches Blümchen bricht,
Weilt im Schoos der Ruhe nicht.
Die ein solches Blümchen hegt,
Hat der Liebe Kelch getrunken;
Wie im Thal ein Sturm sich legt,
Ist ihr stolzes Herz gesunken.
So zerrinnt die schwüle Luft,
Also wallt ihr Seufzerduft. —
Der Jüngling.
Halt! Du singst mir in die Brust,
Zauberin, der Leiden Fülle!
Deiner Macht sich tief bewußt,
Bangt mein Herz in öder Stille;
Doch der Trost der ihm gebricht,
Ist in diesen Hainen nicht. — —
Genius, wir gleiten noch
Auf dem Meer der Phantaseyen;
Deine Fackel leuchtet hoch,
Wehet strömender von neuen.
Doch verschwiegen sey das Bild,
So sie jetzo mir enthüllt.
Weim einst näher diesem Blick
Sich der Zukunft Ufer zeiget;
Und ein lächelndes Geschick
Mir den goldnen Zepter neiget:
Dann verkünd’ in Cypris Schoos
Amor selbst mein Götterloos!
aus: Sammlung vermischter Gedichte von Christian Adolf Overbeck, Friedrich Bohn und Campagnie, Lübeck und Leipzig, 1794