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Donnerstag, 8. September 2011

Helene von Engelhardt - Nordischer Winter

Helene von Engelhardt



Nordischer Winter.


Sei mir gegrüßt, mein nordischer Winter!
Mehr, als des Südens lodernde Gluthen
Mit üpp’gen Farben,
Mit weichen, erschlaffenden Lüften,
Liebe ich dich
In deiner rauhen, unzähmbaren Kraft!


Nicht nahest du uns
Wie dein schwächerer Bruder
Den Fluren des Mittags:
Auf luftigen Schwingen,
Die Regenwolke als leichtes Gewand
Um die Knabenglieder gezogen. — Nein!
Ein trotziger Kämpe, ein Riese der Vorzeit,
Erscheinst du bei uns!


Auf weiten Schneeschuhen kommst du gebraust,
Das Bärenfell um die mächtigen Schultern,
Im Arm den entwurzelten Tannenbaum.
Auf den wilden Locken,
Den weißbereiften,
Wiegt sich der goldgrüne Mistelzweig. —
Bei deinem Hauche erstarret der See
Und breitet schützend über sich aus
Die Eisesdecke,
Den schimmernden Schild,
Die Aeste der Birken hüllen sich flink
In lichte, versilberte Rüstung:
Und alles funkelt,
Flimmert und blitzt —
Heil dir!
Sei mir gegrüßt, mein nordischer Winter!


In der Spinnstube aber
Beim flackernden Kienspan
Rücken die Mädchen enger zusammen:
Die Spindel surrt —
Sie singen das Lied
Von der wunderschönen Königstochter,
Die im Walde schmachtet
Im einsamen Thurm,
Von allen verlassen,
Und nur der zottige, graue Wolf
Harrt ihr zur Seite getreulich aus.


Oder die Alte erzählt geheimnißvoll
Von den dreißig Rittern der Meerfluth,
Wie sie beim ersten Strahle des Frühroths
Einmal im Jahr mit dem greisen Ohm
Den Wogen entsteigen
Und staunend betrachten
Das wonnige Schauspiel 
Den rosigen Himmel.
Und die weiten grünenden Fluren,
Blitzend im Morgenthau! —

Wenn aber plötzlich —
Mitten im schaurigsüßen Geplauder, —
Der Hütte Gebälk im Froste kracht,
Dann schrecken sie ans und horchen entsetzt, 
Ob draußen der Flüchtling der Berge poche,
Der ohne Schwert aus der Schlacht geflohn,
Den Tod des Vaters nicht gerächt,
Von der Mutter verflucht,
Von der Braut verstoßen,
Und nun bis zum Weltenbrand
Umirrt in der eisigen Winternacht!
Und mit Todtenfingern an’s Fenster pocht
Einlaß, Obdach begehrend.


Ich aber trete hinaus und sehe draußen
Die klare, herrliche Winternacht! 
Weißblau dehnt sich der Himmel über mir aus:
Hinter den dunklen Wipfeln der Tannen
Hebt sich der Mond mit geröthetem Antlitz,
Staunend ob all der blinkenden Herrlichkeit;
Tausend glänzendgroße, neugierig verwunderte Augen,
Lauschen die Sterne herab in die taghelle Nacht;
Und wo der Wolf aus dem Dickicht des Waldes tritt,
Da knistert der Schnee und ein Schatten gleitet vorüber.
Du bist es, Winter! Mit mächtigen Schritten
Sausest du hin über’s spiegelnde Eisfeld
Und ich schaue dir nach und rufe mit jauchzender Seele:
Heil dir, mein nordischer Winter!


Aus: Das Baltische Dichterbuch, Eine Auswahl deutscher Dichtungen aus den Baltischen Provinzen Rußlands, Herausgegeben von Jeannot Emil Freiherrn von Grotthuß, Verlag von Franz Kluge, Reval, 1895






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