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Donnerstag, 13. Oktober 2011

Hans Much - Das Lebenswerk

Auguste Renoir - Lachendes kleines Mädchen



Das Lebenswerk.


Klarfrische jugendfreie Frühlingsluft
Durchzieht die Welt mit wonnesamem Duft.
Und bringt voll Kosens in ein stilles Zimmer
Zu einem Greis in weißer Locken Schimmer.
Schön ist sein Antlitz. In den glänzend feuchten
Tiefblauen Augen ruht ein klares Leuchten,
Und glänzt, als schaut es fernes, schönes Land.
Auf einem Buche ruht die kräftige Hand,
Und, wenn die Sonnenstrahlen drüber flittern,
Rinnt durch die Hand ein ahnungsscheues Zittern.
Er hat das Buch in mancher Nacht geschrieben:
Sein Lebenswerk. Sein Wollen, Streben, Lieben.
Den Blick dem Sonnenlichte zugewendet
Seufzt er aus tiefster Brust und jauchzt: . . »Vollendet!


Mein Abend naht, er naht in höchster Klarheit.
Mein Sehnen und mein Lieben galt der Wahrheit.
Nun legt sie mir, umhaucht vom jungen Lenze,
Mit reiner Hand um meine Stirn die Kränze!
Wohl war ich ihr ein nimmermüder Krieger.
Die Arbeit ist getan. — Ich bin der Sieger!«


Da, wie er so ins Licht schaut, unverwandt,
Berührt ihn leise eine weiche Hand.
Und vor ihm steht, von warmem Duft umgeben,
Ein junges, wunderholdes Menschenleben.
Sein Töchterlein, dem Maienmorgen gleich.
In ihrer Hand ein Kirschenblütenzweig.
»Welch großes Buch! O, lieber Vater sprich!
Du schaust so ernst, schaust gar so feierlich!«
Mein Kind, hier ist der eitle Tand gerichtet,
Des Lebens Lüge ist zermalmt, vernichtet.
Frei die Natur von Afterwahn und Spott,
Nicht ohne Leben, aber ohne Gott.
Von allen Larven, die es blöd umgeben,
Gereinigt hab ich es, das Menschenleben.
Die dunkeln Mächte, die wir selbst geschaffen,
Sie sind besiegt von meinen blanken Waffen.
Wie drängt es mich, daß es die Welt erfahre,
Mein Lebenswerk, die Arbeit meiner Jahre!


Da schmiegt sein Kind sich bebend an ihn an:
»O, Vater, Vater, was hast du getan!
Wo ist der Ewige, der die Welten lenkt?«
Wir schufen ihn. Er sei in Nacht versenkt.
»Und alles Leben, das der Geist gebar?«
Ein bleiches Etwas, das nicht ist, noch war.
»Und keine Hoffnung, keine Ewigkeiten?«
Wir werden ohne sie im Leben streiten.
»Das Leben ohne Schönheit, ohne Glänzen?«
O, nein! Die Arbeit bleibt, sie wird es kränzen.
Da starrt das schöne Kind voll herber Qualen
Mit großen Augen in die Sonnenstrahlen.
»Mir ists, als ob ein des Nichts mir bliebe.
Du sagst: die Arbeit? Warum nicht die — Liebe?«
Hab ich die Menschheitsgötzen all gefällt,
Fällt auch die Lieb, die Lügenfee der Welt.
Ein Tiertrieb, der nach heißen Lüsten drängt,
Den wir mit buntem Flitterwerk umhängt.
»Mein Vater, willst du alles Licht mir rauben?
Es ist zu grau, zu leer! Ich kanns nicht glauben«.
Du mußt es glauben, lasest du mein Buch.
Es bleibt erwiesen, klar und rein genug.
»Ists nicht, als ob in trübe Nacht ich tauchte?
O, daß ich nie das Buch zu lesen brauchte!«
Sie schmiegt sich an ihn, schluchzt mit heftigem Beben:
»Mit solchem Glauben könnt ich nimmer leben!«
Dann schaut sie ihn so bange an und klar.
Wie träumend streichelt er ihr Seidenhaar.
Und sie geht scheu. Die schlanken Glieder beben.
Noch einmal schluchzt sie: »Nimmer könnt ich leben!«


Nachblickt der Alte ernst dem holden Kind.
Die Stirne furcht sich, und er sinnt und sinnt.
Das Kirschenblütenzweiglein, das sie trug,
Liegt keusch und zaghaft auf dem offnen Buch.
Und all der jugendweiche Frühlingsschimmer
Blickt großen Auges in das stille Zimmer.


Dann gehts wie Leuchten über sein Gesicht.
Wie großes Leuchten, wie das Firnelicht.
Er legt das Buch in seine alte Truhe.
Und schließt sie zu mit freudevoller Ruhe.
Drauf gräbt er in den festverschlossenen Schrein
Mit fester, kräftiger Hand die Worte ein:
Die Truhe bleibt versiegelt und verschlossen,
Bis hundert Jahre in das Land geflossen! —


Dann reckt die Arme er und dehnt die Brust. —
Strahlt ihm das Aug von Schmerz? Strahlt es von Lust??
Den Kirschenblütenzweig in seiner Hand
Steht er und schaut ins Lichtmeer — unverwandt. —
* * *
Nun fragst du mich: Warum hat er verdunkelt
Sein Lebenswerk, das voller Wahrheit funkelt?
Damit ein Leben, das im Schein sich sonnte,
Ein liebes Leben, weiter träumen konnte. —
Weshalb entsagt er heißersehntem Ruhme?
Um nicht zu töten eine holde Blume. —


Aus: Hans Much, Denken und Schauen, Verlag von Kurt Habitzsch, Würzburg, 1913
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