![]() |
Wilhelm Schade - Die letzte Zuflucht |
Morphium
Ja, schlafen, schlafen! seufzt der Kranke schwer, —
Nun glättet sich der Schmerzen wildes Meer,
Und seine matte Seele treibt zum Hafen.
Die Rechte sinkt zurück — der trockne Mund
Scheint durstig noch den kühlen Trunk zu schlürfen, —
Ein mattes Glimmen noch im trüben Blick,
Ein traumhaft Dehnen durch die kranken Glieder!
Und immer weiter taucht der Geist zurück,
Und immer tiefer senken sich die Lider.
Er gleitet heimwärts in ein schön'res Land . . .
Schon sieht er purpurn sich die Nacht erhellen,
Und weich und wiegend an den fremden Strand
Trägt ihn der Kahn durch blaue Nebelwellen.
Wohin? — Er wiegt und gleitet immerzu,
Ein ziellos Dämmern ist's und Weiterschweben,
Und aus dem Dunkel taucht die große Ruh
Und nimmt an ihre Brust sein krankes Leben —
Und küßt ihn lind; da wird das Herz ihm weit,
Er lacht im Traum, die Qualen sind verflogen . . .
Und hinter ihm versinkt sein großes Leid,
Und vor ihm schwingt das Glück den Irisbogen.
Doch plötzlich bebt er . . . das Bewußtsein loht
Im trüben Blick und auf den blassen Zügen . . .
Er ist erwacht, und das Gespenst der Not
Schreit ihm ins Ohr, daß seine Träume lügen.
Da fährt er auf — sein Blick so fremd und schwer,
Die schlaffe Rechte tastet wild umher, —
Aus: Frauenlyrik der Gegenwart; eine Anthologie, Herausgegeben von Huch, Margareta, (M. H. Gareth, Pseud.), Eckardt Verlag, Leipzig, 1911