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Jean-Auguste-Dominique Ingres - The source |
Quellwasser und Abwasser.
Wie sprudelt sie so frei und stolz
Im lichten, blanken Kleid: die Quelle;
Wer ihr begegnet, freut sich der Begegnung!
Im engen zementierten Graben
Schleicht lautlos hin ein dunkles Wasser;
Es schillert just in allen Farben,
Das macht der Schmutz, den man
Hineingeführt in dies Gewässer.
In einen, Flusse münden sie zusammen,
Die Quelle und der Schmutzkanal.
— Wie sich im Leben oftmals Gegensätze treffen!
Vergebens sucht die Quelle, sich zu sondern
Von jenem düsteren Gewässer;
Will seitwärts fließen, hochgeschürzt.
Das saubʼre Kleid nicht beschmutzen,
Und vor Entrüstung fließen ihre Tränen,
Die Worte fehlen ihr ob solchem Schimpf,
Gibtʼs denn für ihresgleichen keine andre Stätte?
Tief senkt das Haupt das andere Gewässer.
Und sucht den Schmutz zurückzuhalten.
Da spricht der Fluß, der beide aufgenommen:
»Du Quelle, stammst aus edler Erde.
Dein Lauf hat dich geführt nur Wege.
Sie aber haben Menschen so geleitet,
Den Schmutz von ihnen aufzunehmen.
Hat sie nicht so auch reich genutzt?
Du gabst dem Durstigen Erquickung,
Sie nahm, was Schaden hättʼ gebracht, mit fort.
An Nutzen warʼt ihr gleich,
Du hattest Ehre nur und sie nur Schmach,
Wer hat das Größʼre nun von euch geleistet?«
Aus: Rudolf Hammon, Herbes und Liebes, Gedichte, Verlag von Strecker & Schröder, Stuttgart, 1904