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Sonntag, 26. April 2015

Frida Schanz - Das Hexenkind

Hans Thoma - Die Hexe


Das Hexenkind.

Ein dunkler Abend in dunkler Zeit. —
In den Herzen Grausen und Grausamkeit;
In den Kerkern Folter und Geißelschwung.

Durch der Seelen Verdunkelung
Phosphorten Aberglauben und Wahn.

Ein später Gast saß beim rauchigen Spahn,
Daß stille Gesicht wie aus Stein geschnitten.
Durch die Herbstnacht ist er dahergeritten,
Über Sumpf und Bruch ist er hergekommen;
Finstres Volk hat ihn aufgenommen
An der Wegesscheide im öden Krug.

Des Wirtes Willkomm war rauh genug.
Bescheiden war des Fremden Gebahren.
Er hielt ihn für einen simplen Scholaren
Und sah erst dann mit lüsterner Gier,
Wie gut sein Mantel, wie schmuck das Tier,
Dem er die Zaumriemen abgenommen.
Der war kein Bettler. Der war willkommen!

Im Haus war alles in Trab und Lauf.
Eine junge Magd trug das Essen auf,
Lärmlos, lautlos, mit scheuer Hast. —
Mit tiefem Erstaunen sah der Gast,
Daß der Wirt, als sie eintrat, das Kreuzeszeichen
Auf die Stirne sich schlug, die Wirtin desgleichen.
Ein scheltendes, schimpfendes Murmeln begann.

Der Fremde sah nun das Mädchen an.
Um seine Ruhe war’s da geschehn.
So etwas hatte er nie gesehn!

Augen, so schwer von brennender Nässe
Solche tiefe, tötliche Blässe,
Geberden, zitternd, wie angstgehetzt,
Ein Wesen, wie vor sich selber entsetzt, — —
Tiefste Tiefe von Schuld und Leid! —
Darüber magdliche Lieblichkeit,
Nur gebückt, geduckt, nur so tief gebrochen. —

Mit rascher Frage, unausgesprochen,
Sah sich der Mann nach den Wirten um.
Die Magd entfloh just.

                                        Und wiederum
Bekreuzte der Wirt sich die niedre Stirne.
Schroff frug der Gast: »Was ist’s mit der Dirne?«

Der Wirt gab ihm kriechend freundlich Bericht:
»Hütet euch! Blickt der nicht ins Gesicht!
Die Hölle steckt hinter der blassen Miene.
Wohl schickt sich’s nicht, daß sie euch bediene,
Doch die anderen sind heut zum Tanze aus.
Aus Langmut halte ich diese im Haus,
Sie ist die niederste vom Gesind,
Ist ein Teufelsspuk, ist ein Hexenkind,
Der der Scheiterhaufen wohl auch bald flammt.
Ihre Mutter hab’ ich selbst mit verdammt,
Ich gehörte damals zum städtischen Rat,
Ich hör’s noch heut, wie sie schwur und bat,
Wie sie log, sie kenne den Teufel nicht!

Doch es war so klar wie das Sonnenlicht;
Sie war eine Hexe voll Höllenmacht.
Sie hatte die Pest in die Stadt gebracht,
Von fernem Ort war sie hergekommen.
Kaum war sie im Stadtbezirk aufgenommen,
Da herrschte die Seuche in jedem Haus.
Und sie ging bei den Pestkranken ein und aus,
Pflegend scheinbar mit Salben und Säften,
Der Krankheit trotzend mit Höllenkräften,
Den Pestkeim weiter und weiter verbreitend
Und selber heil durch das Unheil schreitend.
Hunderte starben. — Sie blieb gesund. —
Sie war mit dem Höllenfürsten im Bund
Und hatte ihm Leib und Seele verschrieben.
Auf der Folter ist sie verstockt geblieben,
Alle Mühen machte sie uns zunichte.
Sie leugnete noch mit frechem Gesichte,
Als sie schon in den Flammen stand. —
Es war ein haushoch flackernder Brand:
Pechdurchträufelte Tannenreiser« — — — —

»Und die Tochter?« fragte der Fremde heiser.

»Die ließ man leben, das Höllengift!
Der Stadtrat wartet, was die betrifft,
Noch auf den richtigen Hexenbeweis.
Ich nahm sie auf um geringen Preis.
Es ist ein Wagstück, ich will es nicht hehlen,
Doch wir wahren schon unsre Christenseelen,
Durch Bekreuzen und allen Teufelsbann.

Es läßt sie keiner an sich heran,
Wo man sie kommen sieht, weicht man aus.
Wöchentlich kommt der Priester ins Haus.
Wir sind schon listig auf unsrer Hut! —
Herr, schmeckt euch das Mahl nicht? Ist’s nicht gut?« —


* * *

Nein, er ließ es stehn! Es war gallendurchtränkt!
Er saß in der Kammer, die Arme verschränkt.
Die heiße Seele voll Schmerz und Graus.

Und nach Mitternacht ging ein Huschen durchs Haus;
Eine müde Magd schlich zur kurzen Ruh.

Da stand er vor ihr und sprach ihr zu
Und hielt ihre Hand — und hielt sie fest
Und hielt ihre Furcht zusammengepreßt.
Sein Blick war voll Trauer, sein Wort war lind,
Er sprach: »Vertrau’ dich mir, armes Kind!
Was hat dir die Seele so tief verstört?« — — —
Und sprach Worte, wie sie sie nie gehört,
Und sprach Worte voll innerstem Mitleidsdrang,
Und sprach so gütig und sprach so lang,
Bis er sie zwang, wie die Nacht der Tag,
Bis sie vor ihm auf den Knieen lag,
Die Hände erhoben, klar das Gesicht — — —:

»Ich will alles sagen, nur naht mir nicht,
Daß ich die Seele euch nicht verderbe,
Bin ein Hexenkind, bin ein Höllenerbe,
Bin verdammt, bin verfehmt, bin vom Guten verbannt,
Werde wie meine Mutter verbrannt,
Muß vom Holzstoß zur Hölle eilen,
Darf nur noch kurz hier im Hause weilen,
Weil dem Satanskinde alles gerät,
Weil ich mich tummle von früh bis spät!
Wie ein armer Hund nur werd’ ich geduldet,
Und ich weiß nicht, was hab’ ich verschuldet?!
Könnt ihr mir raten? Könnt ihr mir’s sagen?
Mein Hirn ist ein einziges hämmerndes Fragen,
Meine Seele ist ein einziger Brand,
Ich sinne mich noch um meinen Verstand!
Warum bin ich vom Reiche des Guten geschieden?
Alle die anderen haben Frieden.
Warum bin ich der Leute Spott?
Ich möchte auch gern zum großen Gott;
Doch es ist mir verboten, zu ihm zu beten,
Es ist mir verwehrt, in die Kirche zu treten.
Nur einmal, hinter dem Pfeiler versteckt,
Hört’ ich vom Herrn, der die Toten erweckt,
Zu ewiger Freude und Seligkeit.
Ich fürchte mich vor der ewigen Zeit,
Dor der Hölle voll Sünde und Teufelsränke; — —
Doch wenn ich an meine Mutter gedenke,
Sehn’ ich mich nach dem Teufelsreich.
Meiner Mutter Hände waren so weich,
Meine Mutter war wie der Sonnenschein.
So weiß mein Denken nicht aus und ein,
So ängstigt mein Herz sich Tag und Nacht.
Ich bin in des Bösen dunkler Macht.
Ich bin verloren —«

                                        »Du bist nur blind«,
Sprach da der Mann zu dem armen Kind.
»Blicke auf! Deiner Seelen Gefahr,
Sie ist nicht wirklich, sie ist nicht wahr!
Das Netz der Qualen, das dich umsponnen,
Menschenverblendung hat es ersonnen« — —
Er sprach ihr die großen Heilandsworte,
Er öffnete ihr des Lebens Pforte;
Er sprach von Jesus, dem Überwinder,
Er sprach: »Wir alle sind Gottes Kinder,
Gottes Gnade ist über den Guten und Bösen — —«

Giebt es ein seligeres Erlösen,
Als wenn dem verzweifelten Mächte nahn,
Die sagen: ›Blick’ auf, dein Jammer ist Wahn!‹? —

So sprach der Mann und er sprach noch viel
Von dieses und jenes Lebens Ziel,
Stille Worte von tiefem Frieden auf Erden,
Hohe Worte von ewigem Seligwerden.
Er sprach: »Deine Mutter hat schuldlos geendet — — —«

Sie schloß ihre Augen, wie geblendet;
Das ganze Glück, sie konnt’ es nicht fassen.
Das Grauen wollte sie noch nicht lassen.
Das neue Licht war zu gleißend klar.
Sie frug voller Zweifel: »Ist es wahr?«

Fest sprach er: »Ja, es ist ganz gewiß!« — —

Ehe der Morgen die Finsternis
Aus den sumpfigen Niederungen verjagt,
Hatte der Fremde die junge Magd
Mit des Goldes und mit des Wortes Kraft
Gelöst aus der irdischen Höllenhaft.
Auf seinem Rosse nahm er sie mit.
Durch Sumpf und Bruch ging der rasche Ritt.
Die Magd schaute stumm in den Nebelflor.
Nur einmal schrak sie schreiend empor
Und starrte wild nach des Tages Pforte.

Der Retter aber sprach freundliche Worte.
Was da flammte in züngelndem loderndem Rot,
Das war nicht das Grausen, das war nicht der Tod,
Das war kein glühender Scheiterbrand.

Die Sonne ging auf über’m Heideland.













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