Páll Ólafsson - Der kleine Wasserfall
Ergötzliches sah ich da jüngst einmal
in den Fjorden im südlichen Lande,
als morgens ich saß am Meeresstrande.
Ein munteres Flüßchen im grünen Tal
hatt' einen Fels auseinander getrieben -
es war so lang' bei der Arbeit geblieben,
daß nie der Schlaf in sein Auge klar
seit dem Morgen der Zeiten gekommen war.
Es hat erst unter den Felsen dort,
nachdem es vom steilen Berge gekommen,
was seine größte Lust war, vernommen:
ein Lachen und Plätschern in einem fort,
ein Singen und Brausen, ein Jubeln und Spielen
im lustigen Reigen zusammen von vielen;
da wurde geflüstert, geküßt und gelüpft
und dann und wann auch ein Tänzchen gehüpft.
Es waren ja Wellen, die nicht gewußt,
daß es Flüsse auch gebe, große und kleine;
sie sprangen spielend über die Steine,
das Rollen der Kiesel war ihre Lust.
Da fiel es dem Flüßchen ein, zu entweichen,
durch eine Spalte sich fortzuschleichen.
Doch der Felsen unten war steiler Stein,
das Flüßchen aber so zart und klein.
Was braucht es da vieler Worte Schwall,
zu melden von Gegnern, mit denen's gerungen,
und wie es endlich den Felsen bezwungen;
es ward nun zu einem Wasserfall.
Dann eilt' es, versteckt im Gestein zu fließen,
um lautlos sich in das Meer zu ergießen.
Es zu schaun ist den Wogen doch erst geglückt,
als ein Küßchen es ihnen aufgedrückt.
Sie wichen zurück in die Meeresflut
und zürnten alle dem kleinen Flüßchen
und waren ganz feuerrot von dem Küßchen,
als hätt' sie bestrahlt des Abendscheins Glut.
Das Flüßchen jedoch, das schwatzte vom Küßchen.
Da riefen ans Land sie und fragten das Flüßchen:
Wie heißest du denn? - Ei: Wasserfall!
Was willst du? - Das Küssen gibt fröhlichen Schall.
Das Küssen? so schrien sie entsetzt - und im Nu
begann die Ebbe sich einzustellen;
jedoch, als es Tag ward, da hatten die Wellen
im Meere draußen nicht länger Ruh':
die Weiße des Flüßchens, sein Stimmgekose,
sein Singsang, sein Liebesgeplauder, das lose,
sein Kuß: dies alles lockte sie an,
und so schlichen sie wieder ans Ufer heran.
Dann kamen für immer sie überein,
bei ihm zu bleiben und Lieder und Sagen
und Küsse zu tauschen nach Lust und Behagen
und immerdar wach und munter zu sein. -
Wie glücklich ist, wem zu seinen Lieben
der Gang auch immer so leicht geblieben,
des Lebens Beschwerden so mühelos,
wie dem Flüßchen der Fall in der Wogen Schoß!
Übersetzung: J. C. Poestion
Páll Ólafsson (geboren am 8. März 1827, gestorben am 23. Dezember 1905) war ein isländischer Dichter, bekannt für seine Liebes- und Pferdelyrik.
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