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Montag, 18. April 2011

Hugo Terberg - Staub

William Turner - Light and Color



Staub.


Es war ein mürrisch grauer Nebeltag.
Die Arbeit lastete auf meiner Seele
Und plagte mich. Verdrossen war ich, müde
Von meiner Pflichten dumpfem Einerlei.
Und wie der Abend dämmernd niederschlich,
Da überschauert’s mich so bang. Beklommen
Blick ich hinaus zur engen Giebelgasse:
Ach, wie so karg und düster ist solch Leben
Mit seinem kalten, öden Tagewerk,
Und täglich, stündlich schleicht es mühvoll weiter.
Da quälst du dich mit deiner Pflichtenbürde
So Jahr für Jahr, bis einst es der Natur
In ihrer blöden Laune just gefällt,
Dann sagt sie »schlafe!« und dein Herz steht still,
Dann bist du Staub, den rasch der Wind verweht,
Und Staub ist all dein spurlos winzig Werk —!


Da — seltsam — seltsam — überschleicht es mich — 
Und plötzlich packt’s mich wie ein wildes Sehnen, 
Aus dumpfer Enge mit dem Sturm zu fliehn 
Und übermenschlich aus der Welt zu wachsen, 
So wilderhaben, groß wie die Natur. 
Und ohne Bande, ohne Schranken! Ewig! 
Allmächtig!! Frei!!! 
Und wie mein Rufen dröhnend wiederhallt,
Da wankt und birst schon des Gemaches Decke,
Und mit dem Arm zerschmettre ich das Haus.
Ich wachse, wachse riesenhaft empor,
Schon rag ich mächtig über unsre Stadt
Und knick den Kirchturm mir als Wanderstecken,
Dann schreit ich aus und jeder schritt trägt Meilen.
Schon greift die Hand nach des Gebirges Kamm,
Ich wachse, wachse! Ha, mein Fuß zermalmt
Die Eichenwälder rings wie Wiesenhalme!
Ich wachse, wachse — von der Felsenküste
Stürz ich mich jubelnd in den Ocean,
Daß es wie Sturmflut aufwogt rings am Strande.
Gleich Muscheln heb ich Inseln mir empor
Und mit zehn Stößen trägt mein Riesenarm
Mich schwimmend leicht zum fernen Erdteil fort.
Da steig ich auf, mit sieben Wanderschritten
Durcheil ich ihn und jeder Schritt malmt Städte.
Und wieder schwimm ich lachend durch die Fluten
Und übersteig die Länder und Gebirge
Und wachse, wachse, wachse ohne Ende, —
Da reck ich mich und meine Glieder schwellen,
Hinauf! Hinauf! Jetzt greif ich bis zum Mond!
Mit meiner Riesenhand umpack ich ihn
Und rüttle mächtig, bis er wankt und bebt,
Und werf ihn trotzig in den Weltenraum,
Und endlich, endlich reich ich zu den Sternen!
Die fasse ich und lasse sie nicht los,
Da hab ich Halt — was soll mir noch die Erde!
Aufschäumend treibt mich trunkner Uebermut
Und mit dem Fuße schleudre ich die Kugel
Wie einen Spielball in die Sonnenglut,
Daß sie versengen und verlodern mag.
Hei, wie das zischt und rote Funken sprüht!
Ich bin allmächtig! . . . Und schon zuckts in mir,
Die Sonne selbst vom Himmel loszureißen —
Da öffnet sich das weite Firmament
Und übermächtig und erhaben schwebt
Der Herr der Welten herrlich über mir.
Unendlich wallt sein schneeigweißer Bart
Herab auf seinen blauen Himmelsmantel
Und groß und still und ernst und feierlich
Schaut mich sein weltentiefes Auge an;
Und seine beiden Schöpferhände legen
Wie schützend treu sich um den Sonnenball.
Ein Staunen fühl ich . . . doch schon wühlt der Trotz
An meinem Herzen und es schwillt die Kraft;
Zu wuchtgem Schlag ball ich die Riesenfaust,
Und wie sie wild und dröhnend niederdonnert,
Hab ich das weite Firmament zerschmettert.
Die Sonne ist zertrümmert und erloschen
Und die Gestalt entschwebt. Ich aber höhne
Wie Donnertosen laut: »Sieh, ich bin stärker
Und ich bin größer, größer selbst als du!
Das Weltall zittert unter meinem Hauch
Und Ewigkeiten werd ich überdauern
Und niemand neben mir! Frei bin ich, frei!!«


Da plötzlich stockt das Wort. Mir wird so einsam . . .
So kahl und öde starrt die Welt mich an
In eis’gem Schweigen und mich packt ein Schauer —
Was sollen mir die blassen Sternehaufen?
Soll ich sie zwecklos durcheinander werfen?
Staub sind sie, Staub, elender Riesenstaub!
Soll ich mit meinen Fingern ihn zermalmen,
Um einen Augenblick mich zu zerstreun?
Für wen? Für wen? Es bleibt doch ewig staub,
Zwecklos und wertlos — ich ertrag es nicht!
Schlaff sinkt mein Arm, daß rings die Sterne zittern,
In Demut beugt sich weltentief mein Knie
Und sehnend und verzweifelnd, hoffnungslos,
Blick ich hinaus nach meiner Erde Trümmern. — —
Da schwebte still der Herrliche heran;
Er grollte nicht, sein Auge lächelt mild
Wie voll Verzeihn und er berührt mich leise.
Dann ward es sanft und dunkel um mich her
Wie milder Schlummer, doch ich fühlt’s im Traume,
Daß still und langsam ich zusammensinke.
Und immer kleiner ward ich, immer kleiner,
Und endlich war ich winzig wie ein Mensch.
Da glitt ich weich auf einen Sessel nieder
Und ich erwachte und es war schon Abend.
Der Wächter zündet die Laternen an
In meiner kleinen engen Giebelgasse,
Und still bringt mir die Magd ins dunkle Zimmer
Die Arbeitslampe. Milde fällt ihr Schein
Auf meine Bücher, die schon meiner harren.
Mit frohem Mut beginn ich frisch mein Werk;
In treuer Arbeit soll der Abend weichen,
Und morgen — ach, welch unerschöpflich Glück! —
Der neue Tag bringt neues Mühn und Ringen.


aus: Hugo Terberg (Hugo Münsterberg), Verse, Verlag von Baumert & Ronge, Großenhain, 1897

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