Von Karl Hans Strobl
Im Mittelpunkt der Welt sitzt eine Spinne.
Blutrot das Kreuz, das sie am Rücken trägt,
Und rot vom Blut die scharfen Kieferzangen,
Die sie mit einem unersättlichen Verlangen
In ihre jäh erfaßten Opfer schlägt,
Indes sie späht, ob sie nicht neuen Fraß gewinne.
Ihr Netz umspannt das All. Die Sternenräume
Sind seine Maschen, die Unendlichkeit
Hat es gewebt, und nur ein dünner Faden
Im Netz ist jenes weise Band von Sternenpfaden,
Um Zukunft spannt sich's und Vergangenheit,
Um unser Leben, unsre Wahrheit, unsre Träume.
In jedem Augenblick sind Millionen Fliegen
Gefangen in dem fürchterlichen Netz,
Um tot und ausgesaugt herabzufallen
In jene Jauche, deren Nebelwallen
Manchmal umzieht das ernste Weltgesetz,
Und wo schon Milliarden von Kadavern liegen.
In jedem Augenblick sind diesen Lachen
Schon Millionen Fliegen neu entkeimt
Und regen sich in unbedachtem Leben,
Um wieder zu der Spinne aufzuschweben,
Der Schaum und Blut um ihre Zangen schleimt,
Vor Lust und Gier, die Opfer sich zurecht zu machen.
Aus:
Der Orchideengarten 2
Heft 8
Abb.: Felix Abraham, This photo is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.